Ich muss es tun. 

Zweimal im Jahr sind sie fällig. Dann hole ich dieses schöne gelbe Gerät hervor, dass Romeo mir geschenkt hat, und werde aktiv. Nach etwa 2 Stunden habe ich es in meiner Vorstellung geschafft – das schnöde Putzen unserer Fenster. (Eigentlich braucht man ja nur saubere Fenster, wenn man schöne Nachbarn hat…) Wie auch immer, um 9 Uhr früh habe ich losgelegt, um 11 Uhr bin ich zumindest „theoretisch“ fertig.

Und dann kommt das große (und böse)  Erwachen: Gegen 17 Uhr etwa, also wenn die Sonne schräg steht, und direkt auf die Scheiben scheint, dann könnte ich eigentlich nochmal von vorn anfangen…

Und hier zeigt sich die Magie des Lichts anhand eines alltäglichen Beispiels, das uns allen doch sehr vertraut ist: denn dann, wenn wir die Fenster geputzt haben, scheinen sie makellos und streifenfrei zu sein. Sobald sich aber der Sonnenstand ändert, sieht die Sache anders aus.

Magie des Lichts?!

Das klingt sehr poetisch, beim Fensterputzen scheint es sich aber eher um schwarze Magie zu handeln.

Soweit dazu, denn schließlich ist das hier ein Foto-Blog, kein Putz-Blog (oh doch, so was gibt es – falls bei den geneigten Lesern diesbezüglich Bedarf besteht, dann schaut mal hier nach: https://rosanisiert.de/)

Ansonsten sollte ich noch erwähnen, dass sich dieser Blogartikel lediglich der Sonne als Lichtquelle widmet –  nur um Missverständnissen vorzubeugen. Außerdem ist das nur ein Blogartikel, keine wissenschaftliche Abhandlung, und alles andere als eine vollständige Analyse zu dem extrem komplexen Thema „Licht in der Fotografie“.

Sonnenuntergang im Wald

Warum eigentlich ist Fotografie „Malen mit Licht“?

Tatsächlich ist nicht jedem klar, dass visuelle Wahrnehmung  ohne das Vorhandensein von Licht schlicht und ergreifend nicht stattfindet. Also die von Menschen, bei Tieren könnte das anders sein, aber mein zoologisches Halb-Wissen lässt mich das nur vermuten.

Bei Nacht sind alle Katzen schwarz.

Ohne Licht gibt es nicht nur keine Farbwahrnehmung, sondern gar kein Sehen, und folglich auch keine Fotografie. Denn im weitesten Sinne „sieht“ auch unsere Kamera, wenn auch nur mit einem Auge (=Objektiv).

Wie funktioniert Sehen bzw. Fotografieren – gaaanz stark vereinfacht?

Da stellen wir uns mal ganz dumm.

Da ist zuerst mal eine Lichtquelle (in unserem Fall die Sonne). Das Licht dieser Lichtquelle fällt auf ein Objekt (z.B. dein Motiv). Dieses Licht wird dann von diesem Motiv reflektiert, fällt in das Auge oder das Objektiv der Kamera, und wird dort zum Bild – extrem vereinfacht erklärt.

Jetzt mal ehrlich:

Würde es Dir helfen, bessere Fotos zu machen, wenn Du die genauen physikalischen bzw. biologischen Vorgänge kennen würdest? Aber zurück zum Thema.

Dieses Licht überträgt dann unterschiedliche Informationen:

#1 Die Intensität:

Will sagen, wie hell bzw. dunkel es ist. In der Fotografie (vielleicht auch in anderen Bereichen, wer weiß?) wird die Lichtmenge in EV angegeben.

#2 Die Farbe

Die Farbe bzw. die Farbtemperatur wird in Kelvin gemessen. Hier geht es also um den Weißabgleich.

#3 Die Licht-Richtung:

In der Fotografie finde ich persönlich es wichtig zu erkennen, von wo das Licht kommt. Dieses Wissen hilft uns übrigens auch bei der Wahl der Fotolocation, wenn man beispielsweise einen tollen Sonnenauf- bzw. -untergang vor die Linse bekommen möchte.

Frei nach dem Motto:

Im Osten geht die Sonne auf, im Süden steigt sie hoch hinauf. Im Westen wird sie untergehen, im Norden ist sie nie zu sehn.

# Die Gestalt

Die Gestalt des Motivs, also Form, Strukturen, Oberfläche, Räumlichkeit usw.

Dein Gehirn verarbeitet diese ganzen Informationen natürlich ganz anders als Deine Kamera – da kommt nicht mal der tollste Super-Computer ran. Deine Kamera begnügt sich eigentlich nur mit der Darstellung der Informationen in Form eines Fotos.

Glitzernde Tautropfen im Spinnennetz

Was tut nun das Sonnenlicht?

Normalerweise gilt eine simple Regel :

Große Lichtquelle =  weiches Licht

Kleine Lichtquelle = hartes Licht

In unserer Wahrnehmung ist die Sonne natürlich eine sehr große Lichtquelle, wenn nicht die Größte überhaupt.

Aufgrund des enormen Abstands ist sie als Lichtquelle eben doch sehr viel kleiner als man denkt, und dann gelten da andere Regeln. Das Licht der Sonne ändert sich nämlich mit dem Sonnenstand.

1. Tiefstehende Sonne

Küchenschelle vor der untergehenden Sonne

Es werden Gegenlicht-Aufnahmen möglich

Gegenlicht kann es nicht geben, wenn sich die Sonne über unseren Köpfen befindet – irgendwie logisch, oder? Okay, okay – in unseren Breitengraden steht die Sonnen nie zu 100% im Zenit, das gibt es nur am Äquator, aber trotzdem ist die Sonne irgendwo da oben, und eben nicht in einer Position, die sich für Gegenlichtaufnahmen eignet.

Es entstehen sanfte Schatten mit weichen Kanten und angenehmen Kontrasten.

Dadurch wirken Landschaften „drei-dimensionaler“. Ziel der Landschaftsfotografie ist es ja, einen drei-dimensionalen Ort in ein zwei-dimensionales Medium zu „pressen“. Besagte sanfte Schatten helfen dabei.

Sonnenuntergang im Allgäu
Glitzernde Tautropfen
Die ganze Natur und natürlich auch Landschaften zeigen sich am frühen Morgen von ihrer schönsten Seite. Beispielsweise fangenTautropfen auf einer Wiese oder in einem Spinnennetz an zu glitzern. Im Gegenlicht werden Details wie feine Härchen sichtbar, und und und…
Gerade besagte Tautropfen gibt es blöderweise nur in der Zeit um den Sonnenaufgang. Wer also besonders schlau sein möchte, und denkt, es genügt, zum Sonnenuntergang draußen zu sein – leider, das funktioniert nur bedingt.

Also raus aus der Komfortzone, und aus den Federn – kann ich da nur sagen!

Bläuling im Sonnenuntergang

Bokeh

Fotos mit kreisförmigem Bokeh entstehen z.B. dadurch, dass die tiefstehende Sonne schräg auf ein Gewässer, durch Gebüsch oder Bäume scheint.

Grünes Heupferd
Hier sieht man mal was passiert, wenn das Motiv in der Sonne, und der Hintergrund im Schatten ist. Einen „korrekten“ Weißabgleich gibts nur für einen von den zwei Bildkomponenten. Pragmatisch hat sich Romeo für das Hauptmotiv, also das Heupferd, entschieden.
Sommerzeit - Insektenzeit
Dieses Heupferd saß während der goldenen Stunde in der Sonne – in diesem Fall war der Weißabgleich für Motiv und Hintergrund identisch.

Die Farbe des Sonnenlichts verändert sich je nach Sonnenstand.

Entsprechend sollte der Weißabgleich der Kamera eingestellt werden. Oder man verwendet die Automatik, die man dann in LR entsprechend anpassen kann. Voraussetzung dafür: man sollte in RAW fotografieren. Der Weißabgleich kann die Wirkung eines Bildes total verändern. Meiner Meinung nach ist das ein Teil des künstlerischen Prozesses und auch der künstlerischen Freiheit. Möglichst „nah an der Wirklichkeit / Realität“ – können das Fotos überhaupt sein? Kunst und Schönheit sind Dinge, die im Auge des Betrachters liegen. Unser Ziel ist es, Bilder zu machen, die mehr sind als nur Abbildungen fürs Bestimmungsbuch.

Malerische Bergwelt

      2.Nachmittagssonne:

Dadurch, dass die Sonnen über uns ist und (mehr oder weniger) nach unten scheint, entstehen „harten Schatten“ – das sind die Schatten, die einen starken Kontrast ergeben und harte Konturen und Kanten haben. Auch damit kann man arbeiten, denn meiner Meinung nach gibt es kein schlechtes Licht, sondern nur Licht, mit dem ich nicht umgehen kann – oder noch nicht.

Oft entstehen in der Mittagssonne, vor allem bei blauem Himmel mit weißen Wölkchen sogenannte „Postkarten-Fotos“ – auch schön, aber eben nicht wirklich besonders.

So weit, so gut.

Ohne Licht also keine visuelle Wahrnehmung, und also auch keine Fotografie.

Inwiefern kann ich aber „Malen“ mit der Kamera?

Tatsächlich gibt es einen enormen Unterschied zwischen „fotografischem Sehen“ und „normalem Sehen“.

Als Kinder lernen wir, unseren Fokus auf die Wahrnehmung von Objekten zu richten. Licht als solches nehmen wir nur so am Rande wahr.

Wer achtet schon darauf, von wo das Licht gerade kommt – außer beim Autofahren bei tiefstehender Sonne?

Wem ist eigentlich die Veränderung bewusst, die der Sonnenstand auf das Aussehen einer Landschaft bewirkt?

Oder wer achtet schon darauf, wie Schatten aussehen: haben sie harte oder weiche Kanten, und wie hängt das mit der Lichtquelle (also der Sonne) zusammen?

All diese Informationen müssen wir wahrnehmen, dann unsere Schlüsse ziehen, und schlussendlich unsere fotografischen Entscheidungen treffen.

Wir müssen also (u.a.) folgende Fragen für uns beantworten:

  • Wie stelle ich meine Kamera ein? Wie kann ich die Technik kreativ nutzen?
  • Welche Perspektive macht Sinn? (Position der Kamera: Froschperspektive, Vogelperspektive, auf Augenhöhe – das Kamerasutra eben…)
  • Wie kann ich mein Motiv herausarbeiten? Der Hintergrund spielt in der Bildgestaltung eine große Rolle.
  • Welchen Bildausschnitt wähle ich? Hier geht es um die Wahl der Brennweite.
  • Wie gestalte ich mein Bild? Drittelregel, Goldener Schnitt, führende Linien, Rahmen, Spiegelungen… nutze ich die Grundregeln der Bildgestaltung, oder breche ich die Regeln um eine kreativere Bildaussage zu bekommen?
  • Kann ich mit meinem Foto eine Geschichte erzählen?
  • Weckt mein Foto Emotionen beim Betrachter?
  • Wofür brauche ich das Foto eigentlich? Auch der Verwendungszweck spielt durchaus eine Rolle für die entsprechende Darstellung. Für ein Bestimmungsbuch sollten Details deutlich erkennbar sein, bei einer eher künstlerischen Darstellung spielt beispielsweise Schärfe (unter Umständen) keine entscheidende Rolle für die Schönheit eines Fotos.
Fotografisches Sehen ist also eine sehr komplexe Sache, und muss gelernt und geübt werden.

Die eine Kern-Frage müssen wir uns also vor jedem Auslösen stellen:

Wie kann ich ein Motiv / eine Szene fotografisch darstellen und in diesem Zusammenhang die Technik meiner Kamera kreativ nutzen?

Die Wahrnehmung durch die Kamera ist eine vollkommen andere also mit Deinen zwei Augen. Diesen Unterschied gilt es zu erkennen, und sich bewusst zu machen. Und das geht eben nur durch Üben, üben, üben.

Und dann wird aus reiner Knipserei wahre Fotografie – nämlich das Malen mit Licht.

Zum Abschluss noch ein kleiner Bonus für diejenigen, die bis hierher durchgehalten haben, und diesen Artikel bis zum Ende gelesen haben:

Eine einfache Übung, mit deren Hilfe man das fotografische Sehen trainieren kann:

Selbst beim Netflix schauen kann man erkennen, von wo das Licht kommt, und wie der Hintergrund gewählt wurde. Schärfe Deine Wahrnehmung, und nehme Licht und Schatten bewusst wahr. Analysiere (Deine) Fotos – kannst Du erkennen, von wo das Licht gekommen ist? Mach Dir das immer wieder bewusst – und nimm diese „Licht-Details“ bewusst wahr, und dann in Deine Bildgestaltung auf.

Diese Übung machen wir eigentlich immer – mit der Frage: Hast Du dieses Licht, diese Bildgestaltung gesehen? Hast Du diese tollen Schatten gesehen, usw.

Und nun viel Spaß und Erfolg!

PS. Sollte es jemanden geben unter den geneigten Lesern, der eine Lösung für das Fensterputz-Problem kennt, kann er sich gern bei mir melden!

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